Seite wählen

Der Bikergruß

Der folgende Bericht zum Thema Motorradfahrer-Gruß hat mittlerweile
Kultstatus. Verfasst wurde er von Burkhard Straßmann, erstmals
veröffentlicht am 26. Juli 1996 in DIE WELT. Ein Bericht zum Schmunzeln
und Nachdenken. Vielleicht auch deswegen, weil wir ihn am Ende leicht
angepasst haben. Denn wie sich der Autor über Streetfighter-Fahrer
äußerte, wollten wir so nicht veröffentlichen. Mit Psychopathen haben die
nämlich nichts zu tun. Oder etwa doch?
Die Ursprünge des Motorradgrußes reichen bis in die Steinzeit zurück.
Motorradfahrer waren damals außerordentlich rar. Es gab kaum befestigte
Straßen, und die Räder waren noch aus Stein. Nur ganz harte Kerle
vertrugen die Strapazen des Motorradfahrens. Begegneten sich zwei
dieser Kerle, hielten sie an, stiegen ab und zeigten einander die
geöffneten Hände, um zu demonstrieren, dass sich kein Faustkeil darin
verbarg. So wurde der Motorradgruß erfunden.
Unter ähnlich harten Bedingungen sind heute nur noch die Winterfahrer
unterwegs. Motorradfahrer sind entweder Winterfahrer oder Weicheier.
Weicheier trifft man im April im Straßenverkehrsamt an, wo sie ihre
stillgelegten Maschinen wieder anmelden. Winterfahrer dagegen fahren
durch.
Ihre Zahl ist klein. Treffen sich zwei Winterfahrer, ist die Freude groß. Sie
heben dann so freudig und ausgiebig die Hände, dass sie vom Motorrad zu
stürzen drohen. Von April an grüßen Winterfahrer nicht mehr.
Winterfahrer grüßen keine Weicheier. Das Motorradgrüßen ist stark
reglementiert und wird von Anfängern zu Recht als sehr kompliziert
angesehen. Es ist umlagert von allerlei Ge- und Verboten. Das
bekannteste Verbot lautet: Grüße nie, nie!, ein Einspurfahrzeug, das
weniger als hundert Kubikzentimeter Hubraum hat. So etwas ist kein
Motorrad!
Wer fahrlässig Motorroller, Mofas, Mokicks, Kleinkrafträder oder
Leichtkrafträder grüßt, verliert sein Gesicht und insbesondere jegliche
Selbstachtung. Da dem Anfänger alles, was zwei Räder und einen Motor
hat, von vorn betrachtet, ähnlich vorkommt, bereitet ihm dieses Verbot
die größten Schwierigkeiten. Ein Spezialfall: Oldtimer. Oldtimer werden
grundsätzlich freudig und bewundernd gegrüßt, unabhängig vom
Hubraum. Oldtimer werden meist von technisch versierten älteren Fahrern
gefahren, so genannten „alten Schraubern“. Solchen wird Respekt gezollt.
Trifft man alte Schrauber, wartet man, ob sie grüßen.
Von Frühling bis Herbst grüßen viele nicht, weil sie Winterfahrer sind. Weil
das korrekte Grüßen so schwer ist, sollten Anfänger nie voreilig von sich
aus grüßen. Ungeregelt und darum praktisch nicht existent ist die
Motorradgrußkultur auf der Autobahn. Nicht einmal erfahrene
Motorradfahrer können sagen, ob man entgegenkommende Motorräder
über sechs Spuren und einen Grünstreifen hinweg grüßen muss.
Fahrtechnisch problematisch wird das Grüßen beim Überholen. Die
klassische Grußhand, die Linke, wird vom Überholten nicht gesehen. Grüßt
man mit der Rechten und nimmt dazu die Hand vom Gasgriff, bremst die
Maschine ab – fatal beim Überholen. Absurde Verrenkungen sind auf
unseren Autobahnen zu beobachten, wenn Motorradfahrer versuchen, mit
der Linken vorn am Körper vorbei nach rechts zu grüßen. Uneingeweihte
Autofahrer tippen auf Heuschreckenschwärme oder Unterarmkrampf. Der
Autobahngruß ist eben gerade mal so jung wie die Autobahn und kennt
kaum Traditionslinien. Zu Konflikten kommt es auch, wenn man den
deutschen Grußkulturraum verlässt. So sind deutsche Motorradfahrer in
Italien verwirrt und erbost, weil dort partout niemand gegrüßt wird. Nicht
einmal ein alter Schrauber. Die Erklärung: Der „italienische Gruß“ besteht
in einem für unser Auge nicht wahrnehmbaren Zucken des linken kleinen
Fingers. Solche Mißverständnisse führen zu dem Vorurteil, italienische
Motorradfahrer seien unfreundlich und arrogant. Ein Desiderat der
Grußkulturforschung!
In Deutschland gilt das minimalistische „italienische Grüßen“ als verpönt.
Man verachtet das furchtsame Festhalten am Lenker. Diese Haltung ist
nicht unproblematisch. Wenn man beim Auto die Hand vom Lenkrad
nimmt, fährt es geradeaus weiter. Lässt der Motorradfahrer den Lenker
los, fällt die Maschine über kurz oder lang um. Besonders in Kurven. Ganz
besonders beim so genannten „Heizen“, dem enorm schnellen Fahren. Der
„Heizergruß“ in extremer Schräglage (ein Knie berührt den Asphalt) gilt
als sehr riskant. Er wird allgemein als Nachweis hoher Fahrkunst
angesehen. Wer diese Kunst nicht beherrscht und dennoch ausübt, riskiert
seinen letzten, den so genannten „goldenen Gruß“.
Wie grüßt man richtig , kann man es lernen oder ist es ein angeborener
Motorradfahrerreflex? Und wenn, fehlt dann bei den Nichtgrüßern das
entscheidende Gruß-Gen? Kann man das schon im Mutterleib feststellen
und ändern z.B. durch die Einnahme von täglich zwei Löffeln Synthetiköl,
oder muss in langjähriger harter Arbeit auf einer Grußschule das Defizit
ausgemerzt werden? Wissenschaftliche Studien anhand von freiwilligen
Grußpro-banden haben ergeben, dass man zwischen 8 Kategorien des
Grüßens unterscheiden muss.

Die Coolen
Lümmeln meist gekonnt in stundenlang eingeübter Pose mit dem
Ellenbogen auf dem Tank. Gern werden dabei auch nur die äußersten
Fußspitzen auf die Rasten gestellt, so das es zum so genannten
„Froschlümmeln“ kommt. Kommt dann ein Motorradfahrer entgegen, geht
die Hand (zwei Finger meist ausgestreckt) lässig in Richtung Helm, ein
kleines Nicken noch und der Lümmler fällt zurück in die Ausgangsposition.

Die Schüchternen (aber auch die Dankbarsten)
Unsicher warten sie auf ein Zeichen. Keinesfalls möchten sie sich
blamieren, indem sie grüßen und der andere es vielleicht nicht erwidert.
Wird der Schüchterne allerdings zuerst gegrüßt ist die Freude groß und
dankbar grüßt er zurück, oft mit vollem Körpereinsatz, Nicken, Hand, Fuß
oder auch mit Zuruf und das alles gleichzeitig.

Die Immer-Grüßer
Nach dem Motto „komme was wolle, ich grüß immer“ zieht er seine
Runden. Und das meint er völlig ernst. In Schräglagen, die Kniepads
schleifend, die Fußrasten setzen auf, viel Ver-kehr, eine Ölspur voraus?
Kein Problem, es wird in jedem Fall gegrüßt, schließlich wurde es
jahrelang bis zur Perfektion geübt! Der Immer-Grüßer nimmt auch
keinerlei Rücksicht auf Typ, Marke, Alter des entgegenkommenden
Motorrades. Alles was zwei Räder hat beschenkt er mit kollegialer
Aufmerksamkeit.
Die Vielleicht-Grüßer
Die Vielleicht-Grüßer, auch „Vigrüß genannt, beäugen erst skeptisch das
Vehikel des Grüßungsanwärters. Wenn alles dem wachsamen Auge des
Vigrüß Zustimmung findet, sprich, es ist das richtige Krad, die richtige
Kleidung, das richtige Tempo, die richtige Lautstärke usw. wird
anerkennend gegrüßt. Nur ist es dann meist zu spät und der andere längst
über alle Berge.
Die Abklatscher (oft Enduristen)
Meist verbergen sich darunter echte Frohnaturen und Entertainer. In der
Schule oft der Klassenclown gewesen, bemühen sie sich auch auf Straße,
dieses Image beizubehalten. Das sie durch ihre ruckartigen und
ausholenden Bewegungen zuweilen andere Biker verschrecken, die ein
Angriff auf Leib und Leben befürchten, stört sie nicht weiter. Wenn es
nach ihnen ginge, würden sie jedem Entgegenkommenden persönlich die
Hand schütteln.
Die Augenzwinkerer (oft Anfänger)
Unsicher, die beiden Hände fest an den Lenker geklammert, vollauf
beschäftigt mit Gas, Bremse und Kupplung, versuchen sie durch kräftiges
Augenzwinkern das Grüßen zu erwidern. Sehr mutige spreizen auch schon
mal den ganzen kleinen Finger vom Lenker ab und freuen sich dann wie
die Schneekönige über die geglückte Aktion.
Die um des Grüßens-Willen-Fahrer (Grüwis)
Ein echter Hardcore-Grüßer. Meist nur bei schönem Wetter anzutreffen
(bei Regen gibt es ja weniger die man grüßen könnte) schleicht er
langsam durch die Gegend um ja keinen Grußkandidaten zu übersehen.
Vor der Tour wird noch die am stärksten frequentierte Motorradstrecke
ausgeguckt und los geht’s. Potentielle Grußopfer so weit das Auge reicht.
Der Grüwi ist in seinem Element. Wenn er abends nach Hause kommt und
die linke Hand schmerzt, war es ein guter Tag. Wenn sie nicht schmerzt
dürfen seine Mitmenschen das ausbaden und sich tagelang Triaden
anhören, dass das Motorradfahren nicht mehr das ist, was es einmal war;
ja früher war alles besser, früher war alles gut, da hielten noch alle
zusammen …….. da wurde man noch gegrüßt!
Die Nichtgrüßer (oft Wehrdienst- oder Totalverweigerer)
Stur den sonnenbebrillten Blick geradeaus gerichtet, verweigert er zivilen
Gehorsam und den Bikergruß. Sein Haupt krönt oft ein Jethelm. Er ist ein
Rebell, ein Individualist, ein James Dean der Biker, der sich in keine
Schublade stecken lassen will. Meist hatte er eine dominante Mutter.
Unbeugsam trotzen sie allen Regeln, schließlich waren alle anderen noch
Quark im Supermarktregal oder ein Glitzern im Auge von Papa als er
längst eine Harley sein Eigen nannte.
In keine Kategorie einzuordnen waren die Streetfighter. Das Visier
schwarz wie ihre Seele, oft mit Totenkopfairbrush auf dem Helm, winken
sie nach Gutdünken wenn sie gut gelaunt sind oder das Gegenüber
grüßwürdig empfinden. Ihre Grüße werden immer erwidert. Allerdings
mehr aus Angst, das der Streetfighter bei Verweigerung ’ne Knarre zieht
und sich rächt.